Lagerpotential

Alter Wein

Wenn ein alter Jahrgangswein verschenkt werden soll, dann ist es eine durchaus naheliegende Frage, ob der alte Wein vor allem als symbolisches Geschenk geeignet ist oder auch noch gut schmecken wird. Als Anbieter von Jahrgangs­wein würde man an dieser Stelle gerne eine eindeutig positive Antwort schreiben, aber als grund­sätzliche Aussage wäre dies leider etwas zu optimistisch. Während einer langen Lagerung ändern sich durch Oxidations­vorgänge verschiedene Wein­komponenten, wie Alkohol, Säure, Tannine und Farbstoffe. Dementsprechend kommt es zu einer anhaltenden Entwicklung des Weines bezüglich Duft, Geschmack und Farbe. Im hohen Wein­alter können sich Rot- und Weißweine farblich sogar annähern und die Aromen eher einem Sherry ähneln, denn die Intensivität fruchtiger Noten nimmt bei einer langen Lagerzeit nach den besten Jahren merklich ab. Ausschankweine und leichte Qualitäts­weine schmecken jung getrunken am besten. Auch die meisten Weine gehobener Qualität werden nach wenigen Jahren nicht mehr besser, aber je nach Jahrgang, Sorte und Lagerung gibt es schon erhebliche Unterschiede, ob ein gutes oder passables Niveau noch für mehrere Jahre erhalten bleibt. Bei Weinen der oberen Güteklassen verläuft die geschmack­liche Entwicklung in einer aufsteigenden Kurve, die nach Jahren, bei voller Entfaltung der sorten­typischen Aromen, ihren Höhepunkt erreicht und dann langsam abfällt. Nur sehr wenige Weine werden nach 20 bis 30 Jahren noch besser, aber trotzdem können gut gelagerte, extrakt­reiche alte Weine auch danach noch angenehm schmecken. Positive Über­raschungen sind jedoch genauso möglich wie Enttäuschungen. Im hohen Alters­bereich ist manchmal das Entfernen eines leicht brüchigen Korkens schwierig und bei sehr alten Weinflaschen kann es durchaus mal vorkommen, dass beim Transport Wein­tröpfchen nach außen an die Kapsel gelangen. Die Ansicht einer alten Weinflasche kann nur Hinweise liefern, ob angemessen gelagert wurde. Eine den Geschmack betreffende Einschätzung ist schwer, denn nach einer langen Lagerzeit kann es sogar bei Flaschen derselben Sorte Unterschiede geben.

Bei einem ordentlich produzierten Wein entstehen in den Jahren des Reife­prozesses in der Flasche keine verdorbenen Inhalts­stoffe, denn Weine werden mit schwefliger Säure konserviert. Depot und Wein­stein sind keine Weinfehler. Besonders bei tannin­reichen Rot- und Portweinen verbinden sich Tannine und Farbstoffe. Dabei kann bei langer Lagerzeit eine deutliche Menge Depot (dunkler Satz, fest oder puderförmig) entstehen. Herbe Weine können durch die natürliche Minderung des Tannin­gehaltes an Harmonie gewinnen. Flaschen mit Satz sollten vor dem Genuss ausreichend lange stehen, damit sich die zumeist bitter schmeckenden Schweb­stoffe am Boden sammeln können und man den klaren Wein vorsichtig einschenken kann. Das saubere Entkorken ist bei alten Weinflaschen oft nicht einfach und manchmal ist es notwendig, Korkteilchen mit einem feinen Sieb aus dem Wein zu entfernen. Das Umfüllen in eine Karaffe (Dekantieren) ist bei sehr alten Weinen jedoch etwas umstritten, da sich die größere Einwirkung von Sauerstoff nachteilig auswirken kann. Weinstein kann bei Weinen aus reifem Lesegut mit hohem Säureanteil entstehen, wenn sich Weinsäure mit Kalzium oder Kalium verbindet. Weinstein ist geschmacklich absolut neutral und kommt zumeist in der Form von Kristallen vor, aber auch feinere Salze sind möglich. Die erwähnten optischen Merkmale sind Anzeichen für extraktreiche, gute Weine und somit eher positiv zu bewerten. Man darf also bei einem sorgfältig gelagerten alten Wein durchaus neugierig sein, wie sich der Geschmack im Laufe der Zeit entwickelt hat. Die Erwartungen sollten aber nicht überhöht sein. Bei den Wein­raritäten als Geschenk spielt der Jahrgangs­gedanke häufig die wesentliche Rolle und manchmal wird die Sache auch mit etwas Humor angegangen. So können kleine Eigenheiten den Charme einer sehr alten Weinflasche ausmachen, wenn es vielleicht nicht mehr das ganz große Trink­vergnügen ist.

Bei einer langen Lagerzeit sind angemessene Lager­bedingungen sehr wichtig, denn ein gut gelagerter einfacher Wein kann sich besser halten als ein schlecht gelagerter hochwertiger Wein. Körperreiche Weine aus Spitzen­jahrgängen sind allerdings auch robuster gegenüber Lager­einflüssen. Eine liegende, dunkle, erschütterungs­freie Lagerung bei möglichst konstanter Keller­temperatur mit ausreichender Luft­feuchtigkeit ist für eine lange Lagerzeit ratsam. Erfahrungsgemäß ist es dabei gar nicht so wichtig, einen genauen Temperatur­wert zu beachten, solange die Temperatur im Tagesverlauf ziemlich gleichmäßig bleibt. Veränderungen von etwa 5°C, die sich langsam im Jahres­verlauf entwickeln, sind kein Problem. Auf Dauer sollten aber Werte unter etwa 8 bis 10°C oder über 18 bis max. 20°C möglichst vermieden werden. Ein normaler Kühlschrank (vibrierend, zu kühl) in der Küche ist ungeeignet. Es ist hingegen okay, angebrochene Flaschen in den Kühlschrank zu stellen, denn diese sollten besser kühl gelagert werden. Die Lagerumgebung hat einen Einfluss auf den Wein und den Korken. Ein gut erhaltener Korken ist sehr wichtig für eine ausreichende Luft­abdichtung. Eine intakte, dichte Kapsel oder eine Schicht Siegelwachs können diese für eine lange Lagerung zusätzlich verbessern. Durch eine liegende Lagerung soll das Austrocknen und Zusammen­schrumpfen des Korkens verhindert werden. Ein ganz langsamer, geringer Abfall des Füllstandes ist bei alten Weinen infolge der natürlichen Verdunstung durch den Korken normal. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass ein sehr alter Korken etwas porös ist, aber ein merklich sinkendes Füllniveau zu einem relativ frühen Zeitpunkt ist häufig ein Zeichen für ungünstige Lager­bedingungen bei zu trockener Luft oder deutlichen Schwankungen der Temperatur. Die Luftfeuchtigkeit im Lagerraum sollte auf lange Sicht zumindest im mittleren Bereich liegen, etwa 70% gelten als optimal, Werte über 80% können hingegen zu modrigen Etiketten führen. Eine stetige Zunahme der Luft­einwirkung auf den Wein beschleunigt den Reife­prozess in der Flasche und letztlich wird eine frühere Alterung einsetzen.

Auch bei gut gelagerten, qualitäts­vollen Weinen werden die Veränderungen in hohem Weinalter deutlicher. Bei Weinen mit guten Lager­eigenschaften bleiben aber sorten­typische Aromen länger erhalten. Diese Aromen werden bei langer Lagerzeit durch Oxidation langsam abgebaut und gleichzeitig entstehen vermehrt Alterungstöne. Je nach Weinart hat dies unterschied­liche Auswirkungen. Wenn Fruchtaromen bei Weißweinen verblassen, werden Altersfirne mit Gerüchen zum Beispiel nach Nüssen, Honig, schwarzem Tee, altem Stroh oder feuchter Gartenerde in der Wahrnehmung dominanter. Zudem wird der Weißwein dunkler. Ein heller, rotbräun­licher Farbton (reifes Granatrot oder Ziegelrot) bei sehr altem Rotwein ist oft ein Zeichen der Alterung und eine Folge von Oxidation, aber auch das Absetzen vieler Farbstoffe in einer großen Menge Depot kann eine Ursache sein. Bei alten edelsüßen Weinen kann sich ein intensives Honigaroma mit bittersüßer Würze entwickeln. Freunde alter Weißweine nennen ein positives Alters­bukett auch Edelfirn. Eine weiter fort­geschrittene Alterung ist erreicht, wenn ein Luftton (Sherry­ton) deutlich wird, verursacht von Acetaldehyd. Dieser Stoff entsteht schon bei der Gärung und wird durch schweflige Säure gebunden. Da das Zuströmen von Sauerstoff durch den Korken über die Jahre die Bildung von Acetaldehyd aus Alkohol ermöglicht, ist freie schweflige Säure im Wein wichtig, um dies zu kompensieren. Ist die schweflige Säure jedoch vollständig gebunden, kann in der Folgezeit freies Acetaldehyd entstehen. Es entwickelt sich dann zunehmend ein etwas bitterer, strenger Geschmack und Geruch intensiven Alkohols, der andere Aromen überdeckt. Gleiches könnte auch geschehen, wenn eine alte Weinflasche nach dem Entkorken lange offen steht, vor allem bei Wohnungs­temperatur. Wenn ein Wein über mehrere Tage getrunken wird, sollte die Flasche daher besser kühl gelagert werden. Sherry‑Freunde empfinden einen alten Wein mit einem Sherryton, je nach Ausprägung, möglicher­weise noch als angenehm. Man sollte einen alten Wein mit diesen Merkmalen aber nur sehr maßvoll trinken. Freies Acetaldehyd bewirkt auch die Bildung von Essigsäure und macht den Wein dann letztlich ungenießbar. Die erwähnten Alterungs­vorgänge machen deutlich, dass ein altersgemäß guter Füllstand ein besonders wichtiges Merkmal für den Lagerzustand einer alten Weinflasche ist. Wenn der Füllstand durch Verdunstung über die Jahre ein wenig abnimmt, sinkt der Alkohol­gehalt minimal, weil Alkohol (Ethanol) etwas schneller verdunstet als der natürliche Wasser­anteil (rund 80%) im Wein.

Lagerpotential

Die allgemeine Annahme, ein Wein sei um so besser je älter er ist, stimmt also nur bedingt, wie oben erwähnt. Extraktreiche (Gesamt­extrakt = Süße + Säure + Tannine ...) Rot‑ und Weißweine haben deutlich bessere Lager­eigenschaften als einfache, leichte Weine. Gleiches gilt für kraftvolle, alkohol­reiche Weine und die alkohol­verstärkten Jahrgangs-Portweine. Lagen mit einem guten Terroir (Boden­beschaffenheit und Mikroklima), dazu passende, klassische Rebsorten und ein positives Jahrgangs­klima für eine hohe Traubenreife bieten beste Voraus­setzungen für das Lager­potential der erzeugten Weine, vor allem bei einer vernünftigen Ertrags­begrenzung und einem Ausbau, der nicht auf einen kurzfristigen Konsum ausgerichtet ist. Zu den hohen Güteklassen gehören die oberen Prädikats­weinstufen (die Auslese-Klassen) in Deutschland, die guten kommunalen Appellationen in Frankreich, besonders die Cru‑Klassen in Bordeaux und Burgund, die Bereiche Italiens mit Weinen kontrollierter und garantierter Herkunft (DOCG) und die Gran Reservas in Spanien, hauptsächlich aus Rioja. Qualitätsvolle Weine können in den Jahren der Lagerung von ihren konzentrierten Inhalts­stoffen zehren. Riesling ist die wichtigste Rebsorte Deutschlands und gehört zu den noblen Weißwein­sorten der Welt. Besonders die steilen Lagen an Rhein und Mosel sind bekannt für Rieslinge mit sehr viel Lagerpotential. Feine, rassige Rieslinge haben genügend Extrakt für eine lange Lagerung und durch den Säureabbau schmecken sie im Alter milder. Auch andere Weißwein­sorten in Deutschland können gut lagerbare Weine ergeben. Dazu gehören zum Beispiel alte Auslesen der Sorten Gewürz­traminer, Ruländer oder Scheurebe aus Spitzen­jahrgängen, wie 1971, 1975 und 1976. Spätburgunder ist in Deutschland die dominierende Sorte für Rotweine mit Substanz. Im Burgund ist sie als Pinot Noir die Rebsorte der großen Rotweine, die in guten Jahren sehr viel Lager­potential haben. Gleiches gilt dort für die erstklassigen Weißweine aus Chardonnay. Cabernet Sauvignon ist zumeist die Haupt­rebsorte in der Bordeaux-Region Médoc. Die edle Sorte ist berühmt für besonders tannin­reiche Rotweine, die in Bordeaux vor allem mit der ebenfalls ausge­zeichneten Sorte Merlot abgerundet werden. Tannine (Gerbstoffe) wirken konservierend und sorgen für einen herben Aromakern, der sich erst nach Jahren abbaut. Bei diesem Vorgang entsteht Depot (dunkler Bodensatz). Es ist ebenso ein positves Zeichen für einen extrakt­reichen Wein wie Weinstein. Nebbiolo im Piemont, Sangiovese in der Toskana, Syrah an der Rhône und Tempranillo in Rioja sind weitere noble rote Rebsorten, die in guten Lagen die Grundlage für die Produktion von Rotweinen mit erstklassigen Lager­eigenschaften bieten. Extrem viel Lager­potential haben die edelsüßen Weine aus vollreifen oder edelfaulen Beeren. Zu dieser Gruppe gehören Beeren- und Trocken­beerenauslese, Sauternes, Ausbruch und Tokajer. Auch Eisweine können sehr lange gelagert werden.

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